Wirken

Martin Vosseler, 4. Oktober 1948 – 23. Oktober 2019

I Merkpunkte seines Werdegangs — Oekokonversion eines Arztes

Sohn einer Glarner Krankenschwester, Maria Zwicky, und eines Basler Professors der Geographie, Paul Vosseler — zwei grundlegende Elemente einer Biographie, in welcher eine verborgene Konsequenz innewohnte — ausser ihrem schmerzvollen Ende. Martin Vosseler führte ein kerngesundes Leben, und wie bei seiner Mutter im Dienst am Kranken kann bei ihm der Dienst für die Gesundheit als eine Metapher gelten für eine Heilung der Erde und der Menschheit, ein Leben lang. Und mit dem Thema Erde sind wir bei der «Geo»-Graphie seines Vaters. Die Nähe zur Erde war bei Martin verkörpert zum Einen in den Bergen und Tälern der Glarner Alpen, im kraftvoll-originellen Elmer Dialekt, welchen der Basler bühnenreif nachzuahmen wusste, zum Andern in einer diskreten Kultiviertheit baslerischen Zuschnitts — Gedichte rezitieren und Geige spielen. Martin wirkte von 1974 bis 1995 als Arzt, am Spital und in der eigenen Praxis, und dies nicht ohne ein zweijähriges Post-Graduate in führenden Bostoner Kliniken.

Jedoch schon früh, noch im vollen Arztberuf, begann sich die Therapie an sich, das Heilenwollen. über den rein klinischen Rahmen hinaus auszudehnen zugunsten eines heiligen Bemühens um nichts Geringeres als die Rettung unseres Planeten. Anlässlich eines Ärztekongresses gegen den Atomkrieg im Jahr 1981 schritt Martin zur Gründung einer Schweizer Sektion der IPPNW, und dies in seinem geliebten Boston. Wir sind damals in der Zeit jener heillosen Stationierung der Atomraketen der NATO in Europa, aber auch einer europaweiten Friedensbewegung gegen diesen selbstzerstörerischen Wahnsinn. Sehr bald, 1987, weitete sich die Bewegung über den Pazifismus hinaus in einem neuen entschiedenen Vorstoss  mutiger Ärzte «Luft ist Leben», der sich bald  als «Aerzte für Umweltschutz» formierte. Bald erschien auch notwendigerweise der Begriff «Oekologie» mit der 1987 von Martin mitgegründeten «Oekostadt Basel». Mit diesem Schlüsselbegriff war der immense Reichtum der Themen aufgezeigt, der sich in der Interdependenz ökologischer Vernetztheit verbirgt. Schon allein die Biosphäre der Erde offenbart sich als ein eigener Kosmos.

Nachdem also Martin Vosseler bis 1995 als Arzt praktiziert hatte, gab er in diesem Jahr Praxis auf, um sich nur noch seinen neuen Organisationen zu widmen.

II Sein Werk

Die alleinige Liste seiner Gründungen und Aktionen kann genügend aufzeigen, welche weites und relevantes Profil sich dank seiner Grundausrichtung ergibt.

1981 Gründung Schweizer Sektion der IPPNW

1985/1987 Ärzte für Umweltschutz

1987 Ökostadt Basel

1993 Stiftung Sonne Schweiz

1993 Fastenaktion mit Bruno Manser für den Erhalt des Tropenwalds der Penan in Malaysia

1997 Gründung des Energie-Forums Sun21 (mit Geschäftsführung bis 2004)

2006/2007 Erste Atlantik-Überquerung mit einem Solarboot  (Basel-New York)

Im Jahr 1994 begannen auch die grossen Fusswanderungen kontinentalen Ausmasses, darunter Basel-Jerusalem, Basel-Petersburg, Los Angeles-Boston und mehrere weitere. Martin durchlief die Lande in Sandalen, mit einem Rucksack, einem kleinen Sonnenfähnchen und einem Wanderstock mit Schnitzereien von Bruno Manser, welcher seit 2000 als in Borneo verschollen gelten muss. Nachzulesen in seinem Buch von 2008/09: ««Mit Solarboot und Sandalen».

III Martin — als Pionier bescheiden, inspiriert, tüchtig

Wenn nun die folgenden Zeilen als solche des Lobes erscheinen — so wollen sie auch ein solches sein. Martin verdient es. Er war eine durchaus ausserordentliche Persönlichkeit. Zentral war sein Ethos, Quelle vieler guten Eigenschaften, alle überschienen von einer hellen Serenität und Heiterkeit. Martins Grundverhältnis zur Welt war positiv, zu den Menschen, den Tieren, den Pflanzen und überhaupt. Und es war von Liebe geprägt. Man darf es in Serenität so sagen: Martin hatte ein Charisma. Ein vielleicht unscheinbares, aber typisches Beispiel mag es zeigen: Martin ist im tiefen Amerika auf Wanderung (im 2008) in Hitze und Staub. Da kommt, mit einem Heidenlärm, eine Harley-Davison-Gang von 20-30 Töffs, gefahren von behelmten Ledermännern. Und was tut Martin, er erhebt den Arm, winkt zum heiteren Gruss, irgendwie wird er erwidert, und schon ist das Positive in dieser exotischen «Begegnung» besiegelt, bei aller Absurdität. Unterwegs hat Martin oft auch gesungen. Die Lieder und Verse, er konnte sie alle auswendig. Wer wusste von ihm, dass er 250 Gedichte auswendig konnte? Und wer täte es ihm gleich? Er verfügte über ein schlicht ausserordentliches Gedächtnis, für Musik wie für Poesie, oder für 1000 chinesische Schriftzeichen, die er sich angeeignet hatte wegen seines chinesischen Freundes, mit einer bewundernswerten Disziplin. Martin war tüchtig, in vielen Bereichen, und vorab in den Sprachen. Zu dieser intellektuellen Autarkie und ihrem immensen Gedächtnis gesellte sich die körperliche — und existentielle. In Basel nahm Martin nur selten das Velo — ausser leider am fatalen 23. Oktober — und nie das Tram. Er durchquerte die Stadt zu Fuss, lief etwa über den Bruderholzhügel zu seiner Schwester, die ihn nun noch überleben musste. Unterwegs in Bulgarien oder Syrien, wenn ein Auto hielt und ihn aufnehmen wollte, konnte der Fahrer den höflichen Verzicht oft nicht verstehen, sodass Martin erfinden musste: «Ich habe ein Gelübde gemacht». Wenn Gelübde, dann hat es Martin der ganzen Schöpfung gelobt. Er war im weitesten und liberalsten Sinn religiös. Am liebsten war ihm das Reich der Künste. Er beherrschte viele, von der Geige, ein Leben lang, bis hin zu einem eigenen Cabaret im Kellertheater, und zu Büchern mit seinen Malereien und seinen Lieblingsthemen. Wir noch Lebende dürfen in unserem Gedächtnis diesen grossen Freund aufnehmen für immer, einen Freund, der uns zutiefst bewegt hat und dies weiterhin tut.

Beat von Scarpatetti